21.02.2016

ELDORADO Reiseblog #16 / Buenaventura, San Cipriano

Kleiner Zeitsprung - nach Guajira, Palomino, Santa Marta, der fünftägigen Wanderung durch die Nebelwälder der Sierra Nevada de la Santa Marta und den tollen Begegnungen in Medellin, ging es über Nacht nach Buenaventura. Es galt eines der Boote nach Nuqui in Chocó zu bekommen, die immer nur dienstags fahren, wie man uns sagte. Nach den Erzählungen von Os in Bogotá, nach der Ausrichtung unserer ganzen Reise auf dieses Abfahrtsdatum im Hafen von Buenaventura wurde die Überfahrt zu einem wichtigen und aufgeladenen Symbol - Eldorado eben ....


16.02.2016 / Buenaventura

Alle warnen dich: Buenaventura ist die gefährlichste Stadt des Landes - Diebstähle, Überfälle, Schmuggel, Drogenhandel. Eine verruchte Hafenstadt eben, denke ich. Nachdem uns der Bus frühmorgens rausläßt, sind wir alle noch völlig verpeilt.
Zum ersten Mal Regen seit einem Monat. Die feuchtwarmen Tropen schlagen uns entgegen. Noch ehe wir uns irgendwie orientieren, bietet uns ein älterer Gepäckträger an, für uns die nötigen Dinge im Hafen für die Überfahrt nach Nuqui zu klären - dort könnten wir auf keinen Fall ohne Begleitung hingehen, viel zu gefährlich, die umhersitzenden Frauen nicken zustimmend, es wimmelt dort von Banditen.
Hm, gefährlichste Stadt - ich denke, es ist auf jeden Fall eine Stadt, in der eine Menge arme Leute unter widrigsten Bedingungen leben ... Weil hier vor allem Afro-Kolumbianer leben, mutet die Stadt sehr afrikanisch an, was ja für einige Menschen auch schon ein Grund ist, einen Ort als gefährlich einzustufen.
Yamile und ich begeben uns mit dem Mann zum Hafen, in die Gegend, wo die Boote nach Nuqui abfahren sollen, wir sind auf der Suche nach einem Gigi und einem Kutter namens Valois Mar. Das Hafenviertel, in das wir kommen, erscheint mir nicht aus diesem Jahrhundert, ich komme mir vor wie Johnny Depp in "Dead Man", zudem sehe ich die Szenerie durch den Schleier des tropischen Sprühregens, der meine Klamotten schwer, klebrig und klamm macht.
Ich bin ganz froh, dass wir unseren persönlichen Forest Whitaker dabei haben, der uns souverän humpelnd die Dreckstrasse entlang an den maroden Häusern und Toren vorbei führt und sich bei ein paar Leuten von der Black Pearl zu Gigi durchfragt. Ich hätte mich hier echt nicht zurechtgefunden und hinter den Toren wohl kaum die Anleger und unser Boot erwartet. - Jeden Dienstag fahren die Schiffe nach Nuqui, also haben wir es so eingerichtet, am Dienstag hier zu sein. Der Ort hier scheint aber nach einer ganz anderen Logik zu funktionieren.
Als wir über den Zugang durch ein ominöses Tor an einen Steg gelangen, liegt dort die Valois Mar und wird anscheinend beladen, jedenfalls werkeln drei Männer auf dem maroden Stahlding herum. Gigi ist nicht da, der ist mit einem anderen Schiff in Nuqui, Esnoraldo ist gestern mit der Valois Mar angekommen .- fünf  Tage muss das Schiff auf jeden Fall hier liegen, bevor es wieder nach Nuqui aufbricht, die genaue Zeit hängt von der Fracht ab. Irgendwie macht hier auch niemand den Eindruck, dass man Interesse an Passagieren hat, ganz im Gegensatz zu den eifrigen Busunternehmern im ganzen Land. - Die ganze Fixierung auf Chocó und die Abfahrtzeiten der Boote, die unseren Zeitplan die stets bestimmt haben - das löst sich mit einem Mal in Luft auf. Es soll noch Passagier-Schnellboote geben, die auch dienstags fahren, allerdings bereits um sechs Uhr früh, aber wir machen uns dennoch auf zu der fadenscheinigen Agentur - die Frau dort ist auch nicht sehr motiviert - ja Dienstag fahren die Boote, aber heute nicht, nächsten Dienstag wieder, vielleicht auch Sonntag, wenn Gott will. Wir hören aus allem heraus, dass es derzeit an der Küste irgendwelche Auseinandersetzungen an der Küste gibt, die den Bootsverkehr beeinträchtigen. Bei Esnoraldo schnappte ich aus dem superschnellen afrokolumbianischen Spanisch das Wort "la guerra" auf. Fausto, unser Chocó-Kontakt, sagte am Telefon auch so etwas.
Wenn ich durch die Stadt gehe, habe ich eine Vorstellung davon, was die Menschen meinen, wenn sie sagen: der Staat hat Chocó vergessen. Die Häuser sind zum großen Teil verrottet, Schmutz allerorten, der Fluss mit Müll zugeschüttet - an manchen Stellen kann man blühendere Zeiten noch vermuten.  ....
Unsere Reise nach Chocó ist also vertagt - vielleicht am Sonntag, oder Montag, oder Dienstag ... In Buenaventura eine Woche zu warten, gefällt keinem von uns, man bräuchte hier irgendeinen vertrauensvollen Kontakt. Wir suchen einen Ort in der Nähe. Also winken wir ein Jeep-Taxi raus ...


16.02.2016 / San Cipriano

Ein klappriger Taxi-Jeep bringt uns 40 Minuten raus aus der Stadt nach Cordoba, wo sofort ein paar eifrige Typen am Autofenster klemmen und "San Cipriano - conmigo!" rufen. Genau das ist unser Ziel, unter anderem wegen des kuriosen Transports dorthin. Es gibt keine Strasse - nur ein stillgelegtes Eisenbahngleis von etwa 20 km Länge, die Leute hier haben sich ein Transportmittel für den Schienenweg entwickelt. Früher waren es einfache Holzschlitten auf dem Gleis, die mit langen Stäben wir Gondeln angetrieben wurden. Heute wird das große Holzbrett mit Sitzbank und Kugellagern für das Halten der Spur von einem Motorrad angetrieben, das Hinterrad fährt auf einer Schiene und treibt das ganze Gefährt an. Wir sitzen auf den losen Holzbänken und stapeln unser Gepäck.


Das Ding setzt sich in Bewegung und fährt gerade Strecken in einem Affenzahn, wir überfahren zweifelhafte alte Brücken, 15 - 20 Kilometer können einem ganz schön lang werden. Bei Gegenverkehr kommt es darauf an, sich durchzusetzen  - wer mehr geladen hat oder hartnäckiger ist, wird durchgelassen - der andere muss dann entladen und sein Gefährt vom Gleis heben. Wir fahren durch dichtesten Dschungel, zwischendrin tauchen immer mal wieder einzelne Häuser und Hütten auf, vor denen weitere von den skurrilen Gefährten stehen, die sind hier ein unabkömmliches Transportmittel. Wir passieren fünf schwerbewaffnete Soldaten, die freundlich grüßen und erreichen schließlich den Bahnhof von San Cipriano, wo uns Pichi, unser Chauffeur, auch gleich zum Haus seines Cousins bringt, ein kleines Hotel, in dem wir zu fünft ein kleines Zimmer beziehen.
Wir sind klatschnass von der Hitze und dem warmen Sprühregen - mittlerweile stört das gar nicht mehr - alles ist nass und warm um uns - und wir auch...


Pichi führt uns durch den Dschungel - schlickige Wege durch den unfassbaren Regenwald, der Regen hört auf und beginnt wieder, mal führt der Weg durch einen Flusslauf oder wir laufen direkt ein paar hundert Meter durch das Wasser, klares, unglaublich klares Wasser. Wir erreichen ein paar Wasserfälle und baden, obwohl wir ohnehin durch und durch nass sind ... eine Stunde lassen wir uns dann in LKW-Pneus den Fluss hinuntertreiben - was auch die Dorfjugend hier gerne macht.


Eigentlich sollte es morgen nach Calí weitergehen, doch auf der Suche nach einem Tinto sind wir auf eine Tanz-Theater-Probe gestoßen, eine Jugendtheatergruppe probt für einen Auftritt am 08.März - Juga, ein afrokolumbianischer Tanz mit szenischen Einlagen - es ist toll zu sehen, wie wenig man braucht, um Theater zu machen - die überdachte Fläche wird von einer Glühlampe beleuchtet, ein Betonfussboden ... eine Trommel ... zwischendurch Musik vom Smartphone, verstärkt von einer Box - drumherum viele Kinder, wildes Treiben und dennoch schafft es der Musiker, der die Gruppe leitet, die Probenatmosphäre aufrecht zu erhalten und Konzentration zu schaffen. Während wir zuschauen, werden Yamile und Jule von kleinen Mädchen okkupiert, die ihnen die Haare flechten.


Am Ende der Probe holen wir "El Hombre" heraus, deuten ein paar Bewegungen an und stellen uns und unser Projekt vor - morgen um fünf ist wieder Probe und wir sind herzlich eingeladen, etwas von unserer Kunst zu zeigen ... Kunstaustausch im besten Sinne ... die Fahrt nach Calí ist verschoben ...


17.02.2016 / San Cipriano

Ich wache noch vor der Sonne auf und erfrische mich im Fluss, die Wolken sind heute morgen etwas aufgelockert und es regnet noch nicht ...
Als wir gestern durch das Wasser trieben, hatte ich den super banalen Gedanken: eine von den Sachen, die wirklich richtig glücklich machen, ist sauberes Wasser ...
Wenn man direkt von Buenaventura kommt, ist eigentlich unvorstellbar, was hier für kristallklares Wasser fließt ... Dort wird der Fluss mit Müll und Dreck verseucht und ergießt sich ins Meer. Es ist eine unermessliche Kraft, mit der sich die Natur immer wieder entgiftet, reinigt, wächst, ausgleicht, wo "der Mensch" verschmutzt, zerstört und raubt ... Wie lange ist das noch zu schaffen?
Wie lächerlich und von welcher Hybris geleitet mutet es da an, wenn Cerrejón zum Beispiel von "Renaturierung" spricht ...