20.02.2016

ELDORADO Reiseblog #15 / Guajira, Cabo de la Vela

04.02.2016 / Cabo de la Vela


Kaum ist die Sonne am Himmel, ist auch der kleine Tinto-Verkaeufer wieder auf den Beinen und ist ganz froh, dass er uns drei Kaffee verkaufen kann. Aufwachen in den Hängematten, Morgenwäsche im Meer, um uns stürzen die Pelikane kopfüber ins Wasser, und schnappen sich ihr Frühstück aus den Wellen.
Den ganzen Tag laufen die Wayúu-Frauen und -Kinder an unserer Bude vorbei und bieten ihre Handarbeiten zum Kauf an, Armbänder, Taschen - ... diese Webarbeiten, die sie hier alle in ihren Häusern oder auf der Strasse machen. Ich befürchte, dass hier in ein paar Jahren eine Strasse gebaut ist, überall Hotels stehen und die Wayúu immer noch mit ihren Sachen hier entlanglaufen, aber wo werden sie dann wohnen und wie? Karina, diese zarte Frau mit der feinen Stimme, deren Gesicht Geschichten erzählt, der ich gestern eine Tasche abgekauft habe, sitzt mit ihrer Handarbeit bei uns und wir kommen ins Gespräch. Mit ihrer zarten, fast singenden Stimme, fragt sie mich, wo wir denn herkommen. --- Als ich antworte, klingt ihre Stimme noch entrückter - "Alemania ... Alemania ... esto lejo, Alemania" säuselt sie fassungslos vor sich hin. Und auch mir scheint in diesem Moment Alemania ein unvorstellbar weit entfernter Ort. Als ich sie nach ihrem grössten Traum frage, denkt sie lange nach. Das ist zu schwer, das kann sie nicht sagen.

Eine andere Begegnung in Cabo: die hektische kleine verrückte Frau, die durch unser Lager flitzt und im Vorbeigehen, ein paar Schuhe gerade hinstellt oder irgendwas korrigiert, das ihr unsortiert erscheint. Heute sitzt sie "El hombre" gegenüber und zupft immer wieder das Handtuch gerade, auf dem er sitzt, nimmt mir das Buch von Claude Levi.-Strauss aus der Hand und sieht sich lange die Bilder von den Amazonas-Bewohnern darin an.


Seitdem es diese Tiere in Südamerika gibt, haben sich die Wayúu mit dem Halten von Ziegen und Schafen beschäftigt. Gewebt haben sie auch davor schon mit Fäden aus Pflanzenfasern. Die Umsiedlungen und Einbindungen in die gängigen Handels-, Wirschafts- und Lebenssysteme brachte die Produktion dieser Sachen für Touristen und Märkte in ganz Kolumbien mit sich. Wie lässt es sich von so etwas leben? Eine Chinchorro-Hängematte kostet schon anderthalb Millionen Pesos, daran arbeitet eine Frau aber auch fast drei Monate, das macht dann einen Monatslohn von 150 bis 180 Euro.


Claude-Levi Strauss Traurige Tropen:
"Im Allgemeinen stellt man sich das Reisen als eine Ortsveränderung vor. Das ist zu wenig. Eine Reise vollzieht sich sowohl im Raum, wie in der Zeit und in der sozialen Hierarchie. Jeder Eindruck lässt sich nur in Bezug auf diese drei Achsen definieren, und da allein der Raum fünf Dimensionen hat, so wären mindestens fünf erforderlich, um sich vom Reisen eine adäquate Vorstellung zu machen ..."
Hier finde ich mich immer wieder in einer für mich ungewöhnlichen Situation des relativ Wohlhabenden wieder, ganz unabhängig von meinem sozialen Status in Deutschland werde ich hier in die Gruppe der Reichen eingeordnet. Auf unserer Reise in Pakistan vor sechs Jahren sind wir während unseres Aufenthaltes die sozialen Achterbahnen hoch und runter gefahren - mal waren wir armselige Künstler als uns ein stinkreicher Fabrikantensohn, dessen Hobby es war, deutsche Autos zu Schrott zu fahren, wegen unseres Monatseinkommens verlachte, oder als wir Miss Pakistan oder Imran Khan trafen - mal waren wir wie eine göttliche Abordnung zu Besuch beim Abendessen in der Familie eines armen Wäschers ...


Neben dem Wasserproblem, dass die Wayúu hier ohnehin haben, verstärkt durch den Kohleabbau auf der Halbinsel, hält El Niño die Region in Atem und hat eine humanitäre Krise auf Guajira ausgelöst, insbesondere Kinder jünger als 5 Jahre sind betroffen, die Sterblichkeitsrate der letzten Wochen ist alarmierend. Die nationalen Zeitungen berichten verstärkt darüber, es gab Auseinandersetzungen darüber, ob Zwangstrennungen der Kinder von ihren Familien in so einer Notsituation legitim sind. Eine Gegend, die mit Ökotourismus, Kite-Surfing und dergleichen irgendwie versucht, ökonomisch auf die Beine zu kommen und zugleich eine der ärmsten Gegenden des Landes ist, trotz immenser Rohstoffvorkommen - hier beisst sich einfach alles ... 
Europa macht Urlaub, wo die soziale besonders prekär ist, schaufelt dort auch den Brennstoff für die eigene Energieversorgung aus der Erde, und verbraucht zudem das eh knappe Wasser der Einheimischen für den Bergbau -----