Auf der Suche nach Gold, Glück und dem "Guten Leben"
Eine Theaterexpedition und eine Stückentwicklung von Cie. Freaks und Fremde und JuWie
Dance Company
Die Reise
Für die
Zeit von Januar bis März 2016 plant die Cie.
Freaks und Fremde gemeinsam mit der jungen JuWie Dance Company eine Theaterexpedition nach Kolumbien
und Ekuador. Die
Planungen und Vorbereitungen laufen seit Beginn des Jahres 2013. Verschiedene
Festivals, Gruppen und Institutionen haben bereits ihr Interesse an einer
Zusammenarbeit bekundet.
Diese
Theaterreise ist eingebunden in einen längeren Projektzyklus, in dem wir
uns mit der Geschichte und Kultur Südamerikas (Schwerpunkt Kolumbien, Ekuador,
Peru, Bolivien) beschäftigen, ein wichtiges Etappenziel werden Aufführungen des
Stückes ELDORADO in Zusammenarbeit mit dem Societaetstheater Dresden im
September / Oktober 2016 sein.
In
internationalen Theaterprojekten untersuchen wir seit nunmehr 12 Jahren Theaterformen
im interkulturellen Dialog, und meinen damit kein folkloristisches
Interesse. Wir sind uns der Tücken internationaler Kulturarbeit
bewusst, und lernen dabei aus eigenen Erfahrungen und aus denen unserer
Vorbilder und Kollegen.
Theater auf Forschungsreisen – Begegnungen, Austausch,
Missverständnisse
Die Laguna Guatavita |
Theater ist ein Kommunikationsprozess,
es gibt immer mehrere Sender, mehrere Botschaften und ein multiples Publikum -
wenn auch an e i n e m Ort. Szenische Zeichen und die Art und Weise ihrer
Rezeption erleichtern transkulturelle und intersoziale Prozesse. Intrakulturalität
meint dabei nicht nur Austausch, Reziprozität, gegenseitige Kreativierung zwischen
verschiedenen Kulturen, sondern ebenso kulturelle Interaktivität zwischen verschiedenen
sozialen und gesellschaftlichen Schichten.
Nonverbales Theater, Körpertheater
("sprechende Körper"), Tanz, Theater mit Objekten, „drittes Theater“
im Sinne von Eugenio Barba, anthropologisches Theater beispielsweise, sind hier
im Vorteil gegenüber dem sog. Text- oder Literaturtheater. Auch wenn dieser
interkulturelle Vorteil von Theater zunächst sehr schlüssig scheint und sich an
zahlreichen Beispielen unschwer belegen lässt, ist dennoch Vorsicht am Platz.
Auch im Theater scheitert Inter- und Transkulturalität nicht selten an Missverständnissen,
behindert der egozentrische Monolog nicht selten den dynamischen Dialog. Intersoziale
Versuche tappen nicht selten in die Falle der Zwangsbeglückung oder es gelingt
nicht immer, durch dezentrale Kultur- und Theaterarbeit tatsächlich neue
kulturelle Qualitäten und Austauschformen zu schaffen.
Negative Reaktionen provozierte
beispielsweise selbst der große Peter Brook auf seiner afrikanischen
Theatersafari. Dabei sei Brook zugutezuhalten, dass er zum Teil wissend in die
Falle ging, um seiner multikulturellen Truppe beweisen zu können, dass auch
ihre Theaterarbeit nicht vor euro-zentristischen Programmierungen frei sei. Die
legendäre "Shoe-Show", gespielt auf manchen Dorfplätzen in
Schwarzafrika, wo Brooks Leute den Spielteppich aufschlugen, provozierte zum
Teil große Aggressionen: es flogen sogar die Steine. Offenbar basierte die
darin erzählte Geschichte von der Zauberkraft zweier alter Schuhe so sehr auf
europäischen Erzähltraditionen, dass ihre Darstellung in einigen Fällen zu
fundamentalen Missverständnissen führte. Wonach wohl auch der kulturelle
Tauschhandel, wie ihn Eugenio Barba etwa im "Buch der Tänze"
vorschlägt, zu hinterfragen wäre. Seine interkulturellen Dorfinvasionen mit den
Schauspielern des Odin Teatret in Sardinien oder in Lateinamerika erwiesen sich
zumindest zu Beginn der Manifestation als problematisch. Erst die
längerfristige Arbeit, die an anthropologische Feldforschung erinnerte, führte
zu Austausch und interkulturellem Verständnis. Und diese
Längerfristigkeit der dezentralen Kulturarbeit scheint überhaupt zu einem der
wichtigsten Kriterien intersozialen wie interkulturellen
"Tauschhandels" zu werden.
Dennoch. Das Theater der "offenen
Form" hat alle Chancen im inter/intra/transkulturellen wie im
transsozialen Bereich dem globalen Werte-Diktat von Kapital, Markt und
Rationalität menschliche, demokratische Werte entgegen- oder hinzuzusetzen:
Integration statt Ausgrenzung und Rassismus, Verständigung statt Isolierung,
Offenheit statt Dogmatismus, Vielfalt statt Gleichmacherei, Frieden statt
Krieg, Emanzipation statt Repression, Demokratie statt Diktatur - die
Gegensatzpaare bleiben vielfältig erweiterbar.
Theater hat sicher nicht Macht, aber
Theater hat Kommunikationsstrukturen, die den Diskurs fördern: im Idealfall
über Kopf UND Bauch.
Unsere eigenen Erfahrungen solch einer
internationalen Theaterarbeit basieren neben unserer regelmäßigen
Gastspieltätigkeit in aller Welt auf sehr unterschiedlichen Kollaborationen in
Queensland/Australien (2000 bis 2003), Tunesien (2003 bis 2006), Pakistan (2009
bis 2010), Iran (2011 bis 2015) und Tschechien (2014 bis 2015). Das waren
Koproduktionen mit anderen Freien Theater, verschiedenen Institutionen und
Workshoptätigkeit in unterschiedlichen Zusammenhängen.
Die Theaterexpedition als Quelle für
Erkenntnis, für die Neuausrichtung unserer ästhetischen und kulturellen
Weltsicht, als intensive Form der Begegnung und als eine besondere Form der
künstlerischen Fortbildung und Orientierung spielte für unsere Theaterarbeit
schon immer eine große Rolle. In dieser speziellen Konstellation ist sie Teil
eines ca. einjährigen Inszenierungsprozesses.
Destination Südamerika – Buen Vivir
Bogotá |
Warum nach Erfahrungen in
Australien und in den letzten Jahren vor allem im islamischen Kulturkreis, nun
Südamerika? – Da für uns das Theater immer wieder auch die Untersuchung neuer
gesellschaftlicher Entwürfe ist, fokussierte sich unser Blick von den nach 2001
in den Fokus geratenen Orient nun nach Westen über den Atlantik. In
Lateinamerika vollzieht sich eine bemerkenswerte Entwicklung. Ecuador und
Bolivien haben das Ziel des "Buen Vivir", bzw. des guten Lebens als
Verfassungsgrundsatz festgeschrieben und damit politisches Neuland betreten.
Somit zielt ein Kern der Verfassung nicht auf wirtschaftliches Wachstum,
sondern auf das ganzheitliche Wohlergehen der Menschen ab. Zugleich wurde in
den Verfassungen die Natur zum Rechtssubjekt aufgewertet.
Das neue Verfassungsziel
fußt auf dem Verständnis des "Sumak Kawsay", einer Tradition der
indigenen Andenvölker. "Sumak Kawsay" lässt sich mit "Buen
Vivir" bzw. dem guten Leben übersetzen. Nach der Tradition der Andenvölker
ist "Buen Vivir" eine Kultur des Lebens, die ein harmonisches
Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur anstrebt. Nicht Fortschritt und
Wachstum sind die vordergründigen Lebensziele der Menschen, sondern die
Produktion und Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes.
Das Ziel des „Buen Vivir“
wurde im Zuge der Verfassungsreformen der Jahre 2006 bis 2008 in die
Verfassungen Boliviens und Ecuadors aufgenommen. So steht in der Verfassung
Ecuadors: "Das Buen Vivir erfordert, dass Personen, Gemeinschaften, Völker
und Nationen tatsächlich im Besitz ihrer Rechte sind und ihre
Verantwortlichkeiten im Kontext der Interkulturalität, des Respekts ihrer
Diversität und des harmonischen Zusammenlebens mit der Natur ausüben."
Darüber hinaus beinhaltet das Ziel den Schutz von Grundrechten wie das Recht
auf Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Wasser.
Die Verfassungen Boliviens
und Ecuadors sind so genannte transitive Verfassungen. Als solche sind sie
nicht nur sehr ausführlich - für Kritiker zu ausführlich - und umfassen nicht
nur Rechte, sondern weisen auch Wege in die Zukunft.
Bei der Verwirklichung des
Ziels "Buen Vivir" kommt es zu Problemen und Widersprüchen, zumal es sich
bei Bolivien und Ecuador um zwei Länder handelt, deren Wirtschaftskraft zu
großen Teilen auf Abbau und Export von Rohstoffen beruht. Dennoch spielen die
neuen Verfassungsprinzipien bei politischen Entscheidungen durchaus eine
wichtige Rolle. In Ecuador wollten Umweltschutz-organisationen und indigene
Gruppen ein Gesetz zur Regulierung des Bergbaus mit Berufung auf diese
Verfassung verhindern, was allerdings nicht gelang. Und Bolivien votierte 2011
in Cancun als einziges Land gegen den Klimakompromiss, mit der Begründung, dass
dieser nicht zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels führen würde. - Abschließende
Beurteilungen der Verfassungsreformen Boliviens und Ecuadors sind noch nicht
möglich. Bemerkenswert ist aber, dass ein Verfassungsziel, das auf
Gleichgewicht und Harmonie mit der Natur sowie auf ein umfassendes Wohlergehen
der Menschen setzt, in einem so genannten Entwicklungsland verankert wurde und
nicht in einem materiell reichen Industrieland.
Außerdem wurde das „Buen
Vivir“ und der kreative, zeitgenössische Umgang mit Grundgedanken aus indigener
Überlieferung in nahezu allen südamerikanischen Ländern ein wesentlicher
Beitrag im Diskurs über Modelle künftiger Gesellschaftsformen, menschlichen
Zusammenlebens und des Interagierens mit unserer Umwelt.
In Kolumbien existiert mit
Gaviotas (siehe: Alan Weisman „Gaviotas“) seit den siebziger Jahren des 20.Jh.
ein Ort, an dem Wissenschaftler und Gesellschaftsforscher, etwas scheinbar
unmögliches möglich machten: sie schafften einen Ort des Gedeihens, der
Visionen und des nachhaltigen Fortschritt in einer Region, die als unwirtlich,
unfruchtbar und wertlos galt, in den kolumbianischen llanos östlich von Bogotá.
All das hat uns aufmerksam
gemacht – nach einigen ersten Kontakten und Recherchen haben wir uns
entschieden, unseren Reiseschwerpunkt auf die Länder Ecuador und Kolumbien zu
verlegen – mit einigen Abstechern nach Peru und Venezuela und eventuell
Bolivien.
Wir haben und suchen
Kontakte mit Kulturinstitutionen, Theatern, Freischaffenden Theatermachern,
Künstlern und Musikern in diesen Ländern.
Auf der Suche nach dem Eldorado
Es heißt,
das Volk der Muisca machte nach dem Tod des Herrschers den Sohn seiner ältesten
Schwester zu dessen Nachfolger. Sechs Jahre wurde er auf sein Amt vorbereitet.
Dazu lebte er in einem Tempel, durfte kein Fleisch essen, die Nahrung nicht
würzen und nur nachts den Tempel verlassen. Ihm war auch der Umgang mit Frauen
verboten. Hatte er die Zeit der Vorbereitung erfolgreich bestanden, so konnte
er die Herrscherwürde antreten. Die Thronbesteigung war ein höchst feierlicher
Akt. Bei der Zeremonie wurde der nun neu einzuführende Herrscher in einer
goldenen Sänfte an die heilige Lagune von Guatavitá getragen, wo er sich auszog
und mit duftenden Harz von den Priestern eingerieben wurde. Im Anschluß
bestreute man ihn mit Goldstaub. Nun bestieg er mit den Priestern ein Floß und
fuhr zur Seemitte, wo sie dem heiligen See goldenen Schmuck opferten. Der
Thronfolger reinigte sich im Seewasser vom Gold und kehrte zu seinem Volk als
Herrscher zurück. - Diese Zeremonie eilte als Sage vom vergoldeten König der
Muisca bis nach Europa. Im 16. Jahrhundert - genauer in den vierziger Jahren -
brachen drei Expeditionen von Konquistadoren zum Lande der Muisca auf und
eroberten es. Sie machten große Beute. Der wahre Goldschatz lag aber auf dem
Grund des Sees. Dies lockte die Konquistadoren an. Man baute einen Kanal über
dem ein Teil des Wassers abgeleitet wurde. Vom sumpfigen Grund barg man dann
zahlreiche goldene Gegenstände, die heute im Museum von Bogotá gezeigt werden.
Bis heute liegen am Grund des Guatavitás goldener Muisca-Schmuck.
Hier wurde der Mythos vom
Eldorado, vom sagenhaften Goldland geboren.
Von Europa kamen Heere von
Eroberern, getrieben von Sehnsucht, von der Gier oder einfach von der Lust auf
Abenteuer. – Welche tiefen Wunden diese „Abenteurer“ in den Kontinent
geschlagen haben, beschreibt zum Beispiel Eduardo Galeano in seinem Buch „Die
offenen Adern Lateinamerikas“.
Eine ganz andere Route
schlagen die Glückssucher unserer Tage ein – wir haben legal und illegal in
Deutschland lebende Ekuadorianer und Kolumbianer getroffen und sie nach ihren
Beweggründen für ihre Reise nach Deutschland befragt – offensichtlich ist für
sie das sagenhafte Eldorado mitten im Herz von Europa und nur hier glauben sie
dauerhaft ihr Glück machen und in Wohlstand leben zu können.
Und wir – wir sind in der
Gegenrichtung unterwegs, folgen dem Gedanken des „Buen Vivir“, sind fasziniert
von der Unternehmung Gaviotas in der kolumbianischen Savanne und kommen als
Geschichtensammler in Städte und Dörfer, zu Menschen unterschiedlichster
Herkunft.
Die Reisegruppe besteht aus:
Heiki Ikkola
Puppenspieler,
Regisseur, Autor, Cie. Freaks und Fremde.
Jule Oeft
Tänzerin,
Choreografin, JuWie Dance Company.
Yamile
Navarro
Tänzerin,
JuWie Dance Company.
Sabine
Köhler
Puppenspielerin,
Szenografin, Cie. Freaks und Fremde.
Dirk
Neumann
Puppenspieler,
Schauspieler, Hoftheater Dresden, Gast bei Cie. Freaks und Fremde.
Daniel Williams
Musiker und Komponist bei Cie. Freaks und Fremde und JuWie Dance Company. (Ab Anfang März)
Josia Werth
Lichtdesigner bei Cie. Freaks und Fremde. (Ab Anfang März)
Das
Projekt wird produziert und finanziert durch die Cie. Freaks und Fremde.
Das
Goethe Institut Bogotá unterstützt die Reise.
Das
Societaetstheater Dresden unterstützt das Projekt mit einer
Kooperationsbeteiligung.
Die
Kulturstiftung Sachsen unterstützt die Reise der beiden beteiligten Tänzerinnen
Jule Oeft und Yamile Navarro mit einem Stipendium.
Auf unserem Reiseblog könnt Ihr die Theaterexpedition weitestgehend mitverfolgen.