12.12.2015

Das ELDORADO Projekt 2016 / Una expedicion del teatro


Auf der Suche nach Gold, Glück und dem "Guten Leben"
Eine Theaterexpedition und eine Stückentwicklung von Cie. Freaks und Fremde und JuWie Dance Company

Die Reise
Für die Zeit von Januar bis März 2016 plant die Cie. Freaks und Fremde gemeinsam mit der jungen JuWie Dance Company eine Theaterexpedition nach Kolumbien und Ekuador. Die Planungen und Vorbereitungen laufen seit Beginn des Jahres 2013. Verschiedene Festivals, Gruppen und Institutionen haben bereits ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet.
Diese Theaterreise ist eingebunden in einen längeren Projektzyklus, in dem wir uns mit der Geschichte und Kultur Südamerikas (Schwerpunkt Kolumbien, Ekuador, Peru, Bolivien) beschäftigen, ein wichtiges Etappenziel werden Aufführungen des Stückes ELDORADO in Zusammenarbeit mit dem Societaetstheater Dresden im September / Oktober 2016 sein.
In internationalen Theaterprojekten untersuchen wir seit nunmehr 12 Jahren Theaterformen im interkulturellen Dialog, und meinen damit kein folkloristisches Interesse. Wir sind uns der Tücken internationaler Kulturarbeit bewusst, und lernen dabei aus eigenen Erfahrungen und aus denen unserer Vorbilder und Kollegen. 

Die Laguna Guatavita
 Theater auf Forschungsreisen – Begegnungen, Austausch, Missverständnisse
Theater ist ein Kommunikationsprozess, es gibt immer mehrere Sender, mehrere Botschaften und ein multiples Publikum - wenn auch an e i n e m Ort. Szenische Zeichen und die Art und Weise ihrer Rezeption erleichtern transkulturelle und intersoziale Prozesse. Intrakulturalität meint dabei nicht nur Austausch, Reziprozität, gegenseitige Kreativierung zwischen verschiedenen Kulturen, sondern ebenso kulturelle Interaktivität zwischen verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Schichten.
Nonverbales Theater, Körpertheater ("sprechende Körper"), Tanz, Theater mit Objekten, „drittes Theater“ im Sinne von Eugenio Barba, anthropologisches Theater beispielsweise, sind hier im Vorteil gegenüber dem sog. Text- oder Literaturtheater. Auch wenn dieser interkulturelle Vorteil von Theater zunächst sehr schlüssig scheint und sich an zahlreichen Beispielen unschwer belegen lässt, ist dennoch Vorsicht am Platz. Auch im Theater scheitert Inter- und Transkulturalität nicht selten an Missverständnissen, behindert der egozentrische Monolog nicht selten den dynamischen Dialog. Intersoziale Versuche tappen nicht selten in die Falle der Zwangsbeglückung oder es gelingt nicht immer, durch dezentrale Kultur- und Theaterarbeit tatsächlich neue kulturelle Qualitäten und Austauschformen zu schaffen.
Negative Reaktionen provozierte beispielsweise selbst der große Peter Brook auf seiner afrikanischen Theatersafari. Dabei sei Brook zugutezuhalten, dass er zum Teil wissend in die Falle ging, um seiner multikulturellen Truppe beweisen zu können, dass auch ihre Theaterarbeit nicht vor euro-zentristischen Programmierungen frei sei. Die legendäre "Shoe-Show", gespielt auf manchen Dorfplätzen in Schwarzafrika, wo Brooks Leute den Spielteppich aufschlugen, provozierte zum Teil große Aggressionen: es flogen sogar die Steine. Offenbar basierte die darin erzählte Geschichte von der Zauberkraft zweier alter Schuhe so sehr auf europäischen Erzähltraditionen, dass ihre Darstellung in einigen Fällen zu fundamentalen Missverständnissen führte. Wonach wohl auch der kulturelle Tauschhandel, wie ihn Eugenio Barba etwa im "Buch der Tänze" vorschlägt, zu hinterfragen wäre. Seine interkulturellen Dorfinvasionen mit den Schauspielern des Odin Teatret in Sardinien oder in Lateinamerika erwiesen sich zumindest zu Beginn der Manifestation als problematisch. Erst die längerfristige Arbeit, die an anthropologische Feldforschung erinnerte, führte zu Austausch und interkulturellem Verständnis. Und diese Längerfristigkeit der dezentralen Kulturarbeit scheint überhaupt zu einem der wichtigsten Kriterien intersozialen wie interkulturellen "Tauschhandels" zu werden.
Dennoch. Das Theater der "offenen Form" hat alle Chancen im inter/intra/transkulturellen wie im transsozialen Bereich dem globalen Werte-Diktat von Kapital, Markt und Rationalität menschliche, demokratische Werte entgegen- oder hinzuzusetzen: Integration statt Ausgrenzung und Rassismus, Verständigung statt Isolierung, Offenheit statt Dogmatismus, Vielfalt statt Gleichmacherei, Frieden statt Krieg, Emanzipation statt Repression, Demokratie statt Diktatur - die Gegensatzpaare bleiben vielfältig erweiterbar.
Theater hat sicher nicht Macht, aber Theater hat Kommunikationsstrukturen, die den Diskurs fördern: im Idealfall über Kopf UND Bauch.  
Unsere eigenen Erfahrungen solch einer internationalen Theaterarbeit basieren neben unserer regelmäßigen Gastspieltätigkeit in aller Welt auf sehr unterschiedlichen Kollaborationen in Queensland/Australien (2000 bis 2003), Tunesien (2003 bis 2006), Pakistan (2009 bis 2010), Iran (2011 bis 2015) und Tschechien (2014 bis 2015). Das waren Koproduktionen mit anderen Freien Theater, verschiedenen Institutionen und Workshoptätigkeit in unterschiedlichen Zusammenhängen.
Die Theaterexpedition als Quelle für Erkenntnis, für die Neuausrichtung unserer ästhetischen und kulturellen Weltsicht, als intensive Form der Begegnung und als eine besondere Form der künstlerischen Fortbildung und Orientierung spielte für unsere Theaterarbeit schon immer eine große Rolle. In dieser speziellen Konstellation ist sie Teil eines ca. einjährigen Inszenierungsprozesses.

Bogotá
 Destination Südamerika – Buen Vivir
Warum nach Erfahrungen in Australien und in den letzten Jahren vor allem im islamischen Kulturkreis, nun Südamerika? – Da für uns das Theater immer wieder auch die Untersuchung neuer gesellschaftlicher Entwürfe ist, fokussierte sich unser Blick von den nach 2001 in den Fokus geratenen Orient nun nach Westen über den Atlantik. In Lateinamerika vollzieht sich eine bemerkenswerte Entwicklung. Ecuador und Bolivien haben das Ziel des "Buen Vivir", bzw. des guten Lebens als Verfassungsgrundsatz festgeschrieben und damit politisches Neuland betreten. Somit zielt ein Kern der Verfassung nicht auf wirtschaftliches Wachstum, sondern auf das ganzheitliche Wohlergehen der Menschen ab. Zugleich wurde in den Verfassungen die Natur zum Rechtssubjekt aufgewertet.
Das neue Verfassungsziel fußt auf dem Verständnis des "Sumak Kawsay", einer Tradition der indigenen Andenvölker. "Sumak Kawsay" lässt sich mit "Buen Vivir" bzw. dem guten Leben übersetzen. Nach der Tradition der Andenvölker ist "Buen Vivir" eine Kultur des Lebens, die ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur anstrebt. Nicht Fortschritt und Wachstum sind die vordergründigen Lebensziele der Menschen, sondern die Produktion und Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes.
Das Ziel des „Buen Vivir“ wurde im Zuge der Verfassungsreformen der Jahre 2006 bis 2008 in die Verfassungen Boliviens und Ecuadors aufgenommen. So steht in der Verfassung Ecuadors: "Das Buen Vivir erfordert, dass Personen, Gemeinschaften, Völker und Nationen tatsächlich im Besitz ihrer Rechte sind und ihre Verantwortlichkeiten im Kontext der Interkulturalität, des Respekts ihrer Diversität und des harmonischen Zusammenlebens mit der Natur ausüben." Darüber hinaus beinhaltet das Ziel den Schutz von Grundrechten wie das Recht auf Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Wasser.
Die Verfassungen Boliviens und Ecuadors sind so genannte transitive Verfassungen. Als solche sind sie nicht nur sehr ausführlich - für Kritiker zu ausführlich - und umfassen nicht nur Rechte, sondern weisen auch Wege in die Zukunft.  
Bei der Verwirklichung des Ziels "Buen Vivir" kommt es zu Problemen und Widersprüchen, zumal es sich bei Bolivien und Ecuador um zwei Länder handelt, deren Wirtschaftskraft zu großen Teilen auf Abbau und Export von Rohstoffen beruht. Dennoch spielen die neuen Verfassungsprinzipien bei politischen Entscheidungen durchaus eine wichtige Rolle. In Ecuador wollten Umweltschutz-organisationen und indigene Gruppen ein Gesetz zur Regulierung des Bergbaus mit Berufung auf diese Verfassung verhindern, was allerdings nicht gelang. Und Bolivien votierte 2011 in Cancun als einziges Land gegen den Klimakompromiss, mit der Begründung, dass dieser nicht zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels führen würde. - Abschließende Beurteilungen der Verfassungsreformen Boliviens und Ecuadors sind noch nicht möglich. Bemerkenswert ist aber, dass ein Verfassungsziel, das auf Gleichgewicht und Harmonie mit der Natur sowie auf ein umfassendes Wohlergehen der Menschen setzt, in einem so genannten Entwicklungsland verankert wurde und nicht in einem materiell reichen Industrieland.
Außerdem wurde das „Buen Vivir“ und der kreative, zeitgenössische Umgang mit Grundgedanken aus indigener Überlieferung in nahezu allen südamerikanischen Ländern ein wesentlicher Beitrag im Diskurs über Modelle künftiger Gesellschaftsformen, menschlichen Zusammenlebens und des Interagierens mit unserer Umwelt.
In Kolumbien existiert mit Gaviotas (siehe: Alan Weisman „Gaviotas“) seit den siebziger Jahren des 20.Jh. ein Ort, an dem Wissenschaftler und Gesellschaftsforscher, etwas scheinbar unmögliches möglich machten: sie schafften einen Ort des Gedeihens, der Visionen und des nachhaltigen Fortschritt in einer Region, die als unwirtlich, unfruchtbar und wertlos galt, in den kolumbianischen llanos östlich von Bogotá.
All das hat uns aufmerksam gemacht – nach einigen ersten Kontakten und Recherchen haben wir uns entschieden, unseren Reiseschwerpunkt auf die Länder Ecuador und Kolumbien zu verlegen – mit einigen Abstechern nach Peru und Venezuela und eventuell Bolivien.
Wir haben und suchen Kontakte mit Kulturinstitutionen, Theatern, Freischaffenden Theatermachern, Künstlern und Musikern in diesen Ländern.
 
Auf der Suche nach dem Eldorado
Es heißt, das Volk der Muisca machte nach dem Tod des Herrschers den Sohn seiner ältesten Schwester zu dessen Nachfolger. Sechs Jahre wurde er auf sein Amt vorbereitet. Dazu lebte er in einem Tempel, durfte kein Fleisch essen, die Nahrung nicht würzen und nur nachts den Tempel verlassen. Ihm war auch der Umgang mit Frauen verboten. Hatte er die Zeit der Vorbereitung erfolgreich bestanden, so konnte er die Herrscherwürde antreten. Die Thronbesteigung war ein höchst feierlicher Akt. Bei der Zeremonie wurde der nun neu einzuführende Herrscher in einer goldenen Sänfte an die heilige Lagune von Guatavitá getragen, wo er sich auszog und mit duftenden Harz von den Priestern eingerieben wurde. Im Anschluß bestreute man ihn mit Goldstaub. Nun bestieg er mit den Priestern ein Floß und fuhr zur Seemitte, wo sie dem heiligen See goldenen Schmuck opferten. Der Thronfolger reinigte sich im Seewasser vom Gold und kehrte zu seinem Volk als Herrscher zurück. - Diese Zeremonie eilte als Sage vom vergoldeten König der Muisca bis nach Europa. Im 16. Jahrhundert - genauer in den vierziger Jahren - brachen drei Expeditionen von Konquistadoren zum Lande der Muisca auf und eroberten es. Sie machten große Beute. Der wahre Goldschatz lag aber auf dem Grund des Sees. Dies lockte die Konquistadoren an. Man baute einen Kanal über dem ein Teil des Wassers abgeleitet wurde. Vom sumpfigen Grund barg man dann zahlreiche goldene Gegenstände, die heute im Museum von Bogotá gezeigt werden. Bis heute liegen am Grund des Guatavitás goldener Muisca-Schmuck.
Hier wurde der Mythos vom Eldorado, vom sagenhaften Goldland geboren.
Von Europa kamen Heere von Eroberern, getrieben von Sehnsucht, von der Gier oder einfach von der Lust auf Abenteuer. – Welche tiefen Wunden diese „Abenteurer“ in den Kontinent geschlagen haben, beschreibt zum Beispiel Eduardo Galeano in seinem Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“.
Eine ganz andere Route schlagen die Glückssucher unserer Tage ein – wir haben legal und illegal in Deutschland lebende Ekuadorianer und Kolumbianer getroffen und sie nach ihren Beweggründen für ihre Reise nach Deutschland befragt – offensichtlich ist für sie das sagenhafte Eldorado mitten im Herz von Europa und nur hier glauben sie dauerhaft ihr Glück machen und in Wohlstand leben zu können.
Und wir – wir sind in der Gegenrichtung unterwegs, folgen dem Gedanken des „Buen Vivir“, sind fasziniert von der Unternehmung Gaviotas in der kolumbianischen Savanne und kommen als Geschichtensammler in Städte und Dörfer, zu Menschen unterschiedlichster Herkunft.

Am 13.Januar 2016 machen wir uns auf, erste Station Bogotá.
Die Reisegruppe besteht aus:
Heiki Ikkola 
Puppenspieler, Regisseur, Autor, Cie. Freaks und Fremde.
Jule Oeft 
Tänzerin, Choreografin, JuWie Dance Company.
Yamile Navarro
Tänzerin, JuWie Dance Company.
Sabine Köhler 
Puppenspielerin, Szenografin, Cie. Freaks und Fremde.
Dirk Neumann 
Puppenspieler, Schauspieler, Hoftheater Dresden, Gast bei Cie. Freaks und Fremde.
Daniel Williams 
Musiker und Komponist bei Cie. Freaks und Fremde und JuWie Dance Company. (Ab Anfang März)
Josia Werth 
Lichtdesigner bei Cie. Freaks und Fremde. (Ab Anfang März)

Das Projekt wird produziert und finanziert durch die Cie. Freaks und Fremde.
Das Goethe Institut Bogotá unterstützt die Reise.
Das Societaetstheater Dresden unterstützt das Projekt mit einer Kooperationsbeteiligung.
Die Kulturstiftung Sachsen unterstützt die Reise der beiden beteiligten Tänzerinnen Jule Oeft und Yamile Navarro mit einem Stipendium.

Auf unserem Reiseblog könnt Ihr die Theaterexpedition weitestgehend mitverfolgen.