CARBON
Eine
kleine Weltreise der Kohle
Ein
Projekt der Cie. Freaks und Fremde
in Zusammenarbeit mit FIDENA 2018 und den RuhrKunstMuseen
in Zusammenarbeit mit FIDENA 2018 und den RuhrKunstMuseen
Die Freaks-und-Fremde-Probebühne ist Labor und Werkstatt für unser neues Projekt CARBON.
Wir haben ein Zelt errichtet, schneiden Filmschnipsel, bauen an unserer Theatermaschine, schreiben Texte, verlieren uns in Details. In zwei Wochen geht es erneut nach Kolumbien für Dokumentarfilmaufnahmen und dann stürzen wir uns in die Endproben!
Premiere und weitere Vorstellungen im Rahmen der FIDENA Bochum:
12.Mai 2018 um 18.00 Uhr / Flottmann-Hallen Herne
13.Mai 2018 um 16.00 und 18.00 Uhr / Flottmann-Hallen Herne
Dresden-Premiere:
07.Juni 2018 um 20.00 Uhr / Societaetstheater Dresden
La Guajira / Colombia
Trotz aller Rhetorik über die so genannte
Energiewende, die Förderung erneuerbarer Energien und die Ziele der Reduktion
von CO2-Emissionen, erleben fossile Energieträger derzeit einen großen Boom. Die
deutsche Industrie, mit Energieunternehmen wie E.ON und RWE und anderen wie
Bayer, importiert weiterhin große Mengen an preisgünstiger Kohle (80% von dem,
was sie verbraucht) aus Ländern wie Kolumbien, einem ihrer Hauptlieferanten.
Auf der kolumbianischen Halbinsel La Guajira, im
Norden des Landes, gibt es den weltweit größten Steinkohle-Tagebau: die Mine El
Cerrejón, die sich über ein Gebiet von 70.000 Hektar erstreckt.
Es wird erwartet, dass 2017 die Rekordmenge von 60
Millionen Tonnen Steinkohle gefördert wird, die fast ausschließlich zur
Stromerzeugung nach Europa, Nordamerika und neuerdings auch nach China
exportiert wird.
Das Gebiet, in dem sich die Mine befindet, wird, wurde, vom indigenen Volk der Wayúu bewohnt, von
Afro-Kolumbianern, Bauerngemeinden und anderen indigenen Gruppen. - Vor der
Ankunft der multinationalen Konzerne lebten diese Menschen autark von
Fischerei, Vieh, Jagd und Landwirtschaft für Lebensmittel. Ihre autonome
Lebensform gab ihnen Selbstbewusstsein im Dialog mit dem herrschenden
Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Aber die fortgesetzte Erweiterung der
Mine hat etwa 60.000 Menschen aus ihrem Land vertrieben, oft gewaltsam. Ganze
Dörfer wurden von Baggern zerstört oder verschluckt. Als erstes verschwand 1986
das manantische Volk, die Siedlungen Roche, Chancleta, Tamaquitos, Tabak,
Palmarito, El Descanso, Caracoli, Zarahita oder Patilla sind nur einige der
vielen, die dem Schicksal des Verschwindens erlagen.
Zudem verursacht die Mine enorme
Umweltverschmutzungen und ernsthafte gesundheitliche Probleme. Eine Vielzahl
von Tier- und Pflanzenarten ist verschwunden oder ernsthaft vom Aussterben
bedroht; unter ihnen einige wichtige Heilpflanzen und andere Pflanzen der
Verwendung in traditionellen Ritualen.
Darüber hinaus verunreinigt die Mine die knappen
Wasserquellen und Flüsse in dieser Wüstengegend. All dies hat dazu geführt,
dass heute 64% der Einwohner des Gebietes in Not leben.
Die neueste Erweiterung der Mine erfordert die Abzweigung des bedeutendsten Flusses im Departement La Guajira auf einer Strecke von 26 Kilometern, um auf die Kohlelagerstätten zuzugreifen. Der Rancheria-Fluss stellt aber für die einheimische Bevölkerung die einzige zugängliche Wasserquelle dar.
Die neueste Erweiterung der Mine erfordert die Abzweigung des bedeutendsten Flusses im Departement La Guajira auf einer Strecke von 26 Kilometern, um auf die Kohlelagerstätten zuzugreifen. Der Rancheria-Fluss stellt aber für die einheimische Bevölkerung die einzige zugängliche Wasserquelle dar.
Wir fahren von
Uribia, der Hauptstadt von Guajira, Richtung Cabo de Vela auf der Ladefläche
eines Pick-up – es geht schnurgerade an der Eisenbahntrasse von Cerrejón
entlang, 130.000 Tonnen Kohle rollt hier täglich zum Hafen. Dann verlassen wir
die Strasse und es geht auf eine Geländepiste, Wüste, Kakteen, struppige Büsche
… mittendrin ab und zu eine Siedlung der Indigenen, von Kaktuszäunen umbaut,
auch die Häuschen sind aus Kaktusholz errichtet. – Wir landen schließlich am
Meer, die Wüste wird unversehens zum Strand. Hier schlagen wir unser Lager mit
traditionellen Hängematten auf – den ganzen Tag laufen um und durch unser Lager
Frauen und Kinder, um uns ihre Handarbeiten, Taschen und Armbänder, zum Kauf
anzubieten. Das haben Ihnen die Sozialarbeiter von Cerrejón beigebracht – wie
man Geschäfte macht mit seinem Handwerk – schließlich sind die Wayúu geschickte
Weber. Die Lebensgrundlagen, die Ihnen ein relativ unabhängiges Leben
bescherten, sind ihnen genommen, nun sollen sie es machen, wie wir: „richtig“
arbeiten und Geld verdienen für den Lebensunterhalt.
Bald aber haben
wir alle zur Genüge etwas gekauft, da keine Saison ist, gibt es auch kaum
andere Kunden – so sitzen die Wayúu täglich bei uns, sie haben auch Freunde
mitgebracht, denn sie haben von der Puppe gehört, die mit uns reist. „El
hombre“, wie wir ihn nennen, spielt vor und mit den Leuten von Cabo. Er beginnt
sich zu bewegen, zu atmen und alles beginnt zu kichern, gebannt und erschrocken
zu schauen. Eine zarte Kontaktaufnahme, doch als die Puppe aufsteht und geht,
schrecken Frauen und Kinder zurück, manche laufen lachend und schaudernd davon,
rufen sich etwas in Wayuneiki zu. Manche tuscheln etwas von Magie und fragen
mich, ob er ein Dämon ist …
Täglich sitzt
auch eine ältere Frau zwischen unseren Besuchern, ihr Gesicht zugleich das
Antlitz eines Kindes und einer Greisin: Karina, still und fragenden Blickes.
Mit ihrer zarten fast singenden Stimme, fragt sie mich, woher wir kommen. Als
ich ihr antworte, weiten sich ihre Augen und unfassbar entrückt wiederholt sie
eigentlich nur für sich selbst: „Alemania … Alemania.“ Und weiter: „Esta lejo.
Alemania.“ Deutschland, Deutschland, das ist sooo weit weg.
Alemania, esta lejo? – Ja, für Karina auf jeden
Fall, unvorstellbar weit weg. - Aber die Kohle, die aus dem Boden ihres Landes
gegraben und gesprengt wird, lässt unsere Waschmaschinen laufen, unsere
Straßenbahnen fahren, lädt unsere Elektroautos und erzeugt den Strom, den wir
in unserem Theater verballern. Kolumbien war 2011 erstmals Deutschlands größter
Steinkohlelieferant. Die Verfassung der Menschen in den vom Kohlebergbau
betroffenen Dörfern ist erschütternd; sie sind verzweifelt und gelähmt vom
Gefühl der Ohnmacht gegen die in vielen Fällen rücksichtslosen Bergbaukonzerne.
Sie leiden unter den Folgen des Kohleabbaus: Staub, Lärm, Wasserknappheit, Ernteeinbußen
und dem Verlust ihres Lebensraumes. Die Konzerne haben die Dorfgemeinschaften
geschwächt oder zerstört. Organisierter Widerstand ist aus dieser Verfassung
heraus nicht möglich, jede Familie kämpft angesichts der existenziellen
Bedrohung um das eigene Überleben. Viele versuchen sich natürlich zu
arrangieren und auf die eine oder andere Weise zu Nutznießern des
Steinkohlebergbaus zu werden.
Der Staat sieht das Thema sehr einseitig: Der
Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, bezeichnet die Bergbauindustrie als
Lokomotive für die Entwicklung Kolumbiens. Sondereinheiten der kolumbianischen
Armee wurden in den Abbaugebieten stationiert, um den reibungslosen Betrieb der
Kohleminen zu gewährleisten.
Wir wollen uns einen Reim machen auf das Leben in dieser
in mancher Hinsicht verrückten Welt. Wir wollen Zusammenhänge verstehen. Wenn man
anfängt, Dinge zu hinterfragen, stellt man fest, dass es keine Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten
gibt. Brauchen wir Wachstum? Verbessert technischer Fortschritt zwangsläufig
immer unser Leben? Was braucht der Mensch, um ein „gutes Leben“ zu führen? - Das
sind so Fragen – naiv zunächst, in der Vertiefung und in der näheren
Betrachtung der Zusammenhänge – die entscheidenden.
Theater, Film, Kunst kann solche Fragen unmöglich beantworten;
sie bilden vielmehr den Ausgangspunkt für eine tiefere Beschäftigung, machen
aufmerksam, geben Handlungsimpulse oder reißen Abgründe auf.
Unsere Recherchen lenken unsere Aufmerksamkeit auf
die Weltanschauung der indigenen Andenvölker, in der Quechua-Sprache „Sumak Kawsay“
bzw. „El buen vivir“ in Spanisch,
deren zentrales Element das friedvolle Zusammenleben in Vielfalt und in Harmonie
mit der Natur ist. Das Streben nach Anhäufung von Gütern über den eigenen Bedarf
hinaus und die Vorstellung einer linearen Entwicklung im Sinne „morgen besser
als heute“ existieren darin nicht.
Natürlich verändert sich der Blick auf das eigene Dasein,
wenn man in andere Lebenswelten eintaucht, so wie wir das zum Beispiel in Cabo
de Vela oder in Coqui im Regenwald von Chocó durften. Wenn man erlebt hat, welche
Konsequenzen der eigene Stromverbrauch am anderen Ende der Welt hat, zieht man
unweigerlich praktische Konsequenzen.
Brückenschläge
Wenn mit
dem Jahr 2018 das „Kohlezeitalter“ im Ruhrgebiet endet, ist dieses Ende auch
von Nostalgie geprägt. Anders als in Kolumbien, wo die Kohle ja nur
hinausgeschafft wird, ist hier jenes „Kohlezeitalter“ in etlichen
Industriedenkmälern, die mittlerweile zum großen Teil zu Orten der Kultur und
des öffentlichen Lebens wurden, Stein geworden. Lebensweisen und ein
Menschenschlag wurden hier geprägt, in Dokumenten und Kunstwerken finden sich
Darstellungen, Deutungen und Erinnerungen dieser Epoche.
In den
Neunzigern wurde es besiegelt: die Kohle ist endgültig am Ende und mit ihr geht
auch er seinem Ende entgegen: Der Bergmann. - Sie können Straßen blockieren, Autos anzünden oder damit drohen, ihre
Zechen zu sprengen - es hilft nichts. Die Milliarden, die sie jetzt noch
bekommen werden, sind Sterbegeld. In den Schachtanlagen an Ruhr und Saar, genau
wie in Wales, Yorkshire und Lothringen geht das Zeitalter des Bergbaus zu Ende.
Der Bergmann. Ein großer Mythos stirbt.
Düstere
Niedergangs-Visionen: Kahlschlag. Die Lichter gehen aus. Das Revier stirbt.
Marodierende Jugendbanden ziehen durch dunkle Straßen und fahren nachts
geklaute Autos zu Schrott. Sheffield an der Ruhr. Doch Wanne-Eickel ist nicht
Sheffield. Der Widerstand der Bergarbeiter gegen ihre Abschiebung ins
Industriemuseum hat etwas sympathisch Hilfloses. Sie tragen Särge mit
Bergbau-Emblem, bemalen Transparente mit ungelenker Protestlyrik, sprechen mit
rußgeschwärzten Gesichtern immer die gleichen Sätze in die TV-Kameras. Dass sie
sich verraten fühlen. Dass bald die Ruhr brennt. Und dass jetzt Krieg ist. Man
konnte es nicht mehr hören. Trotzdem empfindet man den Protest der Bergleute,
die nicht mal sagen konnten, warum sie noch gebraucht werden, als gerecht. Man
weiß, dass der Steinkohlenbergbau in Deutschland keine Zukunft hat - und hat
ein schlechtes Gewissen. Die Kohle geht, aber die Apokalypse ist nicht
eingetreten …
Es begann
anders. Sonderzugweise karrte das kaiserliche Deutschland ostelbische
Landarbeiter, Schlesier und Pommern vor die Zechentore. Das Ruhrgebiet war eine
einzige Zechensiedlung, der Bergmann der Aristokrat unter den Arbeitern. Darauf
gründet sich der Mythos, daraus beziehen die Bergleute noch heute ihre
Existenzberechtigung. Schwitzend und staubverkrustet.
Die älteren
Bergleute schwärmen heute noch von dieser Zeit, die Ende der 60er mit der
ersten Stillegungswelle zu Ende ging. "Das war ein eingeschweißter Haufen.
Man muss das mitgemacht haben, das ist unbeschreiblich, das können Sie gar
nicht verstehen", sagt Siegward Slanina, Reviersteiger auf Prosper-Haniel
in Bottrop.