21.05.2017

Presseschau zu unseren neuen Inszenierung: "DER BAU" von Franz Kafka

Liebe Freunde der unbequemen Unterhaltung!
Hier ist die erste Presseschau zu unseren gerade eben herausgekommenen Inszenierung "DER BAU" von Franz Kafka. Die Fotos sind von André Wirsig.

Der nächste Spieltermin:
23.Juni 2017 / 20.00 Uhr / Societaetstheater Dresden


Pas de trois im Untergrund.
Die Cie. Freaks und Fremde lud ins Societaetstheater zu Kafkas "Der Bau"
von Torsten Klaus / Dresdner Neueste Nachrichten

"Es ist eins der Werke, an denen Franz Kafka bis zu seinem frühen Tod 1924 gearbeitet haben muss. Als Indiz dafür gilt ein Bruch am Ende, ein offen gebliebener Satz , den Kafkas Freund Max Brod ausformulierte. Danach brachte Brod "Der Bau" wie zahlreiche andere Kafka-Texte publikationsmäßig unters Volk, trotz einer klaren gegenteiligen Verfügung Kafkas. Auch an der Bewertung dieses Verhaltens, ähnlich der vieler Kafka-Texte, arbeiten sich Literaturwissenschaftler seit Generationen ab.
Dem fragmentarischen "Bau" hat sich  nun auch Dresdens Compagnie Freaks und Fremde gewidmet, ihn als Teil ihrer aktuellen zweiten Freakstadt im Societaetstheater zur Premiere gebracht. Es ist der Monolog eines Tieres, das sich einen weitläufigen Unterschlupf gegraben hat und sich um dessen Beschsffenheit und damit um die eigene Sicherheit in ständiger Sorge befindet. Auf die Bühne kommt alles ohne Zeitgeisteleien, was bei Kafka auch nicht Not tut. Er hat in seinen Texten schließlich unvergleichliche Räume geschaffen, denen sich das Attribut metaphorisch wie von allein zugesellt.. 
Freaks und Fremde in Gestalt von Sabine Köhler und Heiki Ikkola werden nicht nur zu diesem namenlosen Tierwesen, indem sie sich den Text immer wieder zuspielen, ihn überlappen lassen, ihn auch mal gleichzeitig sprechen. Sie machen das Ganze darüber hinaus zu einem Pas de trois - mit einer menschlichen Puppe, die beide oft parallel führen. Auf sie ist das Auge des Zuschauers gerichtet, sie avanciert zum Star des Abends. Und was bei Kafka Tier war, wir hier über die Puppe zum Menschen.
All das spielt - fast zwangsläufig, möchte man meinen - im Keller des Theaters. Der Weg hinab als der passende Prolog einer Hinführung zum Bau. Selbst wenn der in diesem Fall weniger Klaustrophobisches an sich hat, eher ein Ort merkwürdiger Heimeligkeit ist.
Schon früh gelingt, durch geschickte Lichtprojektion, Erde von der Decke dieses Baus zu rieseln. Auch hier, am Ort trügerischer Sicherheit, ist nichts ewig. Mit dieser Botschaft muss dieses Mensch gewordene Tier leben. Nicht einmal seine andauernde Arbeit in den unterirdischen Gängen, an den Wänden und Schlafplätzen, kann den Verfall aufhalten.
Dieser Verfall spiegelt sich im Zweiel dieses eigenartigen Bau-Bewohners. Anfangs noch darüber, ob der Eingang zur Höhle gut genug getarnt ist. Wer so fragt, hat den möglichen Angriff eines diffusen Gegners vor Augen. Das gilt ebenso bei der Frage, ob ein zentral angelegter unterirdischer Vorratsplatz besser sei als viele dezentrale. Solche Pläne wälzt das Wesen, macht sich ständig Gedanken, springt zwischen Freude am eigenen Werk und Verzweiflung darüber, es an wen auch immer verlieren zu können. Manchmal geht es soweit, einen Gegner herbeizuwünschen, ihn zu attackieren, "damit ich endlich einem Rasen hinter ihm her, frei von allen Bedenken, ihn anspringen könnte, ihn zerbeißen, zerreißen, zerfleischen und austrinken und seinen Kadaver gleich zur anderen Beute stopfen könnte."
Zu Beginn sitzen Köhler und Ikkola unter Neonröhren, am Ende werden sie in diese Position zurückkehren. Im Vordergrund zwei längliche Podeste, mi deren Hilfe sich alles zeigen lässt, was diesen Bau so besonders macht. Links und rechts begrenzen dunkle, leicht zur Bühne hin geneigte Wände das Geschehen, sie werden auch zur Projektionsfläche für Schattenspiele, womit der Höhlencharakter des Ortes untermauert wird.
Köhler und Ikkola sind verflochten mit der von ihnen geführten Puppe, aber auch im Spiel miteinander. So entsteht tatsächlich ein Sog in diese erdenschwere Paranoia hinein, die durch Kafkas Text entworfen wurde. Die Musik(Komposition und Live-Sound-Design: Daniel Williams) spielt dabei eine tragende Rolle, bis hin zur akustischen Verzerrung. Sie ist ständig essentieller Teil der Szene.
Bei Erscheinen des Kafka-Textes 1928 war eine naheliegende Interpretation die des einschneidenden Weltkriegs, der später der Erste genannt werden sollte. Heute liegen die Lesarten anderswo, in einem mehr und mehr ausgeübten Ausgrenzen der Welt. Wer ständig nur den Monolog übt, dreht durch. So auch Kafkas Wesen, das sich am Ende immer mehr der Furcht vor einem nicht näher bestimmbaren Zischen hingibt, dessen Quelle einfach nicht auszumachen ist.
Dieser Bau ist kein zu Ende gegrabenes Heim, er ist vielmehr ein Käfig der Ängste. Das Wesen, das sich darin wohlich eingerichtet hat und wohl fühlt, schließt sich selbst ein und damit selbst aus von der Welt. Der Verlust dieser Behausung, selbst wenn sie die Form eines unterirdischen Labyrinths hat, wiegt ihm schwerer als die Neigung, den Ort mit jemandem zu teilen. Diese Tragik dauert an."

Kafkas "Bau" kann man körperlich spüren.
In Dresden sind die Freaks los: Theater, Tanz und allerlei mehr ein ganzes Wochenende lang
Von Johanna Lemke / Sächsische Zeitung

"Auftreten, Applaus ernten, nach Hause gehen. Dieses Schicksal eines freien Theatermachers, der ab und zu in Theatern zu Gast ist, war Heiki Ikkola leid. Beim Dresdner Societaetstheater darf er nun einmal monatlich vier Tage am Stück das Hochgefühl spüren, bei dem von ihm und seiner Compagnie erdachten Festival Freakstadt. Heiki Ikkola ist einer der Kämpfer für das Dresdner Theaterfest Schaubudensommer, und ein bisschen von dem Freiluft-Spektakel weht in der Freakstadt, die nun einmal im Monat stattfindet: Es gibt handgemalte Programmzettel, geschmierte Brote in der Pause, und was als Nächstes läuft, steht an der Holztafel im Foyer. Eine Schauspielerin steigt auf die gezimmerte Speaker's Corner und deklamiert pathetisch. ...
Unten, in der Kleinen Bühne, hat Ikkola selbst zu tun. Er hat gemeinsam mit Sabine Köhler Franz Kafkas "Der Bau" inszeniert. Dabei handelt es sich um eine dichte Inszenierung mit Ikkola, Köhler und einer Puppe. Diese ist mal stummer Beobachter der Szene, mal wird sie von den Spielern bewegt. Dann ist sie die zwanghafte Figur in Kafkas unvollendeter Erzählung, die mit der Stirn eine Höhle, den "Bau", in die Erde geschlagen hat, "eine Vielzahl von Gängen und Plätzen". Gut versteckt vor dem Außen - denn "kann ich denn, trotz aller Wachsamkeit, nicht von ganz unerwarteter Seite angegriffen werden"?
Konzentriert und mit sparsamen Mitteln gestalten die Spieler diesen düsteren Text. ... Sie schaffen einen Abend, der sich ganz dem Text verschreibt und diesen mit starken Bildern ergänzt. Die ganze Zeit über rieselt ein Sandstrahl von der Decke, im Schlummerlicht dramatisch beleuchtet. Nebel befeuchtet die Luft, so ist für die Zuschauer das Gefühl modriger Düsternis ganz körperlich spürbar.
Natürlich handelt dieser Text von jemandem, der sich vor Angst abschottet, und natürlich hätte man das ganz wunderbar auf das Heimat-Thema herunterinszenieren können. Doch gerade weil Ikkola und Köhler in keinem Moment irgendwo moralisch herumfuchteln, wirkt der Abend so drastisch, dass man sich keine der 90 Minuten langweilt."