29.04.2014

RUANDA-MEMORY. Eine Geschichte in 9 Objekten.

Die nächsten Vorstellungen:
16. / 17.Mai 2014 um 20.00 Uhr im Societaetstheater Dresden


Am 16.05.2014 zeigen wir nach der Vorstellung den wunderbaren Film SWEET DREAMS von Lisa und Rob Fruchtman, der eine Gruppe ruandischer Frauen bei einer sehr besonderen Form begleitet, ihr Leben in Ruanda neu und hoffnungsvoll zu gestalten. In einer Trommelgruppe spielen sie zusammen und eröffnen die erste ruandische Eisdiele.

Die ersten Presseberichte zu unserer Premiere am 25.04.2014:


Schlachte Deinen Nachbarn!
„Ruanda-Memory“, Cie. Freaks und Fremde, Uraufführung im Societätstheater Dresden am 25. April 2014
Anfang der neunziger Jahre, in Sachsen, einem bergigen kleinen Land irgendwo in Europa. Die Schwarzhaarigen waren es endlich leid, dass die Blonden schöner, stärker und reicher schienen als sie selbst. Als einer von Ihnen eher zufällig durch einen Blonden zu Tode kam, war das Maß voll: Ein Gemetzel hob an, wie es dieses Land noch nicht erlebt hatte. Innerhalb eines Vierteljahres starben eine Million Blonde, von der Hand ihrer Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder, wer nicht flüchten konnte, wurde niedergemacht, Kinder, Frauen, Alte. Wer blond war, musste sterben. Die im Land stationierten Truppen der vier Mächte waren ratlos, schauten zu und schauten weg, die Blonden unter ihnen verbargen ihr Haar unterm Blauhelm. Erst als kein Blond mehr auf der Straße schimmerte, nahm das Morden ein Ende.
Blödsinn? So in etwa kann man das Massaker an den Tutsi erklären, dass die Volksgruppe der Hutu zwischen April und Juli 1994 in Ruanda verübte, oder es zumindest versuchen zu erklären. Jahrhundertelang hatten die Stämme friedlich neben- und miteinander gelebt, die einen Ackerbauern, die anderen Viehzüchter. Eigentlich ein Volk, mit verschiedenen Wurzeln halt, das mehr und mehr zusammenwuchs.
Mit dem Kolonialismus kam die Ordnung und mit ihr das Meldewesen. Dank der Belgier verfügte seit 1932 jeder Ruander über einen Ausweis, der ihn einer Ethnie zuordnete. Sechzig Jahre später war dieses Stück Papier dann die Lebensversicherung. Oder das Todesurteil.
Sabine Köhler und Heiki Ikkola rekonstruieren das damals Geschehene in dieser Theaterperformance, kongenial begleitet vom Musiker Tobias Herzz Hallbauer. Dies geschieht anhand von Puzzlestücken, neun Objekte, die nichts miteinander, aber viel mit den Ereignissen vor zwanzig Jahren zu tun haben.
Der „Ausweis“ erklärt sachlich die Vorgeschichte und seine schon beschriebene Bedeutung, das „Radio“ gewinnt in Ruanda eine kaum vorstellbare Macht und ist der Einpeitscher, der die Hutu jeden Morgen zum Töten treibt. Können Völker kollektiv verrückt werden? Fast scheint es so.
Die „Machete“ ist ein landwirtschaftliches Gerät, dessen Gebrauch jedem Hutu von Kindesbeinen an vertraut ist. (Jedem Tutsi nicht?) Gleichzeitig ist es nun das Werkzeug, ein Volk zu massakrieren. Holger Zastrow sollte über seinen Machetenspruch nochmal nachdenken.
„Fußball“ spielen Tutsi und Hutu schon immer gemeinsam, nicht gegeneinander. Doch auch das ist dann schnell vorbei, der Mittelstürmer wird nun gejagt von seinen Sportfreunden, er hat den falschen Ausweis.
Zur Belohnung nach den Mühen des täglichen Massakers gibt es allabendlich „Primus-Bier“, der Massenmord findet Nine-to-Five statt. Dieses Getränk auf Bananenbasis ist eigentlich der Versöhnung gewidmet, und wenn man genug davon trinkt, ist man mit sich ja auch wieder im Reinen.
Über den „Blauhelm“ mag man gar nicht schreiben. Nicht nur Tun, auch Unterlassen ist unter Umständen eine Straftat. Vor welchen Gerichten sind die damals Kommandierenden, die Regierenden gelandet?
„Wellblech“, ein Art Ersatzwährung in Ruanda, auch eine beliebte Beute. Wie dieses minutenlang über die Bühne geschleppt wird, von einem darunter Kriechenden, gehört zu den stärksten Szenen des gut einstündigen Abends.
Ins Hier zurück führt uns der „Laptop“ des Autors. Was haben wir eigentlich damals gemacht, vor zwanzig Jahren? Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich war sicher sehr betroffen während der Tagesschau.
Und am Bühnenrand wächst unaufhörlich die Strichliste, mit Kreide gezogen, ein einprägsames Geräusch, viermal kurz, einmal lang.
Ein starker Abend. Nicht aufdringlich gutmenschig, erzählend statt belehrend, fragend statt wissend, und in der Wahl seiner Mittel von Sprache und Bewegung über Bühne und Video bis hin zum Ton absolut stilsicher. Nicht „schön“, aber gut.
Zwanzig Jahre später, ein ziemlich großes Land am Rande von Europa, seit Jahrhunderten leben die Menschen hier miteinander, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen. Doch das scheint auf einmal nicht mehr möglich. Hinterher weiß niemand, wer zuerst die Machete in der Hand hatte. - Blödsinn?
Sandro Zimmermann, KULTURA-EXTRA, livekritik.de


Vergessene Gräuel
Im Societaetstheater erinnert Cie. Freaks und Fremde eindringlich an den Völkermord in Ruanda vor 20 Jahren 
Das Jahr 1994 war scheinbar kein großes in der Weltgeschichte. Jedenfalls aus unserer Sicht. Wem fiele schon auf Anhieb etwas Erinnerungswertes ein? In diesen Apriltagen begann vor 20 Jahren "nur" ein Völkermord an den Tutsi im afrikanischen Ruanda, dem in drei Monaten bis zu einer Million Menschen zum Opfer fielen. Die so genannte "Staatengemeinschaft", ein eher peinliches Abstraktum, wie sich gegenwärtig auch wieder zeigt, quittierte die Massaker hilflos. Blauhelme der UN retteten nur noch ihre eigene Haut.
Auf eindringlichste Weise, fernab jeder vordergründigen Agitation, ruft dieses Grauen nun ein "Ruanda Memory" im Societaetstheater in Erinnerung. Heiki Ikkola, in Dresden und darüber hinaus einer der kreativsten Köpfe der freien Szene, und seine Partnerin Sabine Köhler nehmen die Zuschauer anhand von neun Objekten auf zwingende Weise in das Geschehen hinein. Tobias Herzz Hallbauer hat dafür die Sound- und O-Ton-Collagen gebaut, spricht Radiotexte ein und greift zur E-Gitarre.
Nur in einer Art Prolog erfährt man ganz grob noch einmal etwas über die Vorgeschichte und das Ausmaß der damaligen Verbrechen. "Gott hat uns verlassen", heißt es in den Originaltönen. Zwischen den Szenen wächst eine symbolische Strichliste der Opfer. Heiki Ikkola hat aus der Fülle des inzwischen dokumentierten Materials und der verwirrenden Kämpfe um Macht und wirtschaftliche Ausbeutung den wesentlichen Aspekt herausgearbeitet, dass Hutu und Tutsi bis zur Kolonialisierung friedlich zusammenlebten. Zwar genossen die Tutsi als Viehzüchter eher einen privilegierten Ruf gegenüber den Acker bauenden Hutu. Wirkliche Zwietracht zwischen ihnen säten aber erst die aus Europa herüberschwappenden Rassentheorien. Die Ausgabe der Personalausweise mit dem Eintrag der Stammeszugehörigkeit durch die belgischen Kolonisatoren in den dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts zeitigte verheerende Spätfolgen.
Solche Ausweiskarten, an das Publikum verteilt, bilden denn auch den ersten thematischen Gegenstand dieser Performance. Sie will illustrieren, nahe bringen, muss auf Erklärungen der komplexen Entwicklungen verzichten. Erwähnenswert scheint aber die Tatsache, dass Ruanda zu den am intensivsten missionierten afrikanischen Ländern gehörte und sich zwei Drittel der Bevölkerung zum Katholizismus bekennen.
Was sie nicht hinderte, einander wie Vieh abzuschlachten. Die Berichte der Dresdner Performance lassen schon den Appetit auf den Premierensekt vergehen, aber die tatsächlichen Gräuel übertrafen jedes Vorstellungsvermögen. Angestachelt wurden die Hutu unter anderem durch den Hetzsender RTLM, und dem Radio ist auch die zweite Rubrik gewidmet. Am Ende schneidet Ikkola schließlich wütend die aufgehängten plärrenden Kofferradios mit einer Machete ab. Zelebriert wird die Machete, alltägliches Ernte- und Arbeitsgerät, mit dem aber auch mehr als ein Drittel der Massaker verübt wurden. Der Fussball aus dem Knast spielt eine Rolle, eindringlicher noch das Primus-Bier, das die Mörder nach getaner "Arbeit" in Massen genossen. Die beiden Akteure steigern sich hier zu einem makabren Rausch im Slapstick-Stil.
Ein originaler UN-Blauhelm ist im Spiel. Seine Träger vermochten ebenso wenig gegen die Gräuel auszurichten wie die vergeblichen Botschaften von einem alten Fax-Gerät. Vorletztes Objekt ist eine Wellblechtafel, wichtiges Tauschmittel, da von den Einwohner nicht selber herzustellen. Brauchbar als Dach, Zaun, Hauswand oder - Sarg.
Mit dem Laptop schließlich schlägt Ikkola die Brücke in die Gegenwart, in unsere vermeintliche europäische Unerschütterlichkeit. Sind wir auf immer vor solchen Rückfällen ins Animalische gefeit? Wobei man Tieren Unrecht täte, denn mit solcher Lust und Perfektion töten nur Menschen. Nein, gerade das perfekte Räderwerk, der korrekte Maßnahmevollzug sei eine Voraussetzung für den Massenmord, heißt es. Man denkt an das "Bruder-Eichmann"-Syndrom in uns allen.
Es dauerte lange, bis nach einem erschütternden Abend Beifall aufkam, noch länger, ehe er wieder verebbte.
Michael Bartsch, Dresdner Neueste Nachrichten