03.11.2013

Vorbereitungen zu RUANDA-MEMORY

Liebe Freunde der unbequemen Unterhaltung! 
Wir arbeiten in diesen Tagen an der Vorbereitung unserer neuen Produktion. Die Recherchen und Lektüre lassen uns immer wieder innehalten und zweifeln, ob es möglich sein wird, ein Theaterstück aus all dem zu schaffen, neben beängstigenden Wahrheiten auch ermutigende Töne anklingen zu lassen. Wir können nicht sagen, wo uns dieser Weg hinführen wird, wir gehen ihn, um zu verstehen.
Der Völkermord in Ruanda begann am 6. April 1994 und dauerte bis Mitte Juli 1994 an. Er kostete ca, 800.000 bis 1.000.000 Menschen das Leben. In 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten. Die Täter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Nationalpolizei und der Verwaltung. Zudem spielten die Milizen der Impuzamugambi sowie vor allem der Interahamwe eine besonders aktive Rolle. Weite Teile der Hutu-Zivilbevölkerung beteiligten sich am Völkermord. Der Genozid ereignete sich im Kontext eines langjährigen Konflikts zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF). Im Verlauf und im Nachgang der Ereignisse wurden die Vereinten Nationen und Staaten wie die USA,Großbritannien und Belgien wegen ihrer Untätigkeit kritisiert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, aus welchen Gründen eine frühzeitige humanitäre Intervention nicht erfolgte und warum die vor Ort stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen UNAMIR, bei Ausbruch der Gewalt nicht gestärkt, sondern verkleinert wurden. Gegen Frankreich wurde der Vorwurf erhoben, sich durch die militärische Unterstützung der ruandischen Regierung an den Verbrechen beteiligt zu haben.

Der Völkermord in Ruanda erzeugte erhebliche regionale Probleme. Nachdem die RPF die Hutu-Machthaber vertrieben, damit den Völkermord beendet und eine neue Regierung gebildet hatte, flohen im Sommer 1994 hunderttausende Hutu in den Osten des Kongo. Unter den Flüchtlingen waren viele Täter, die anschließend zur Wiedereroberung Ruandas rüsteten. Die ruandische Armee nahm diese Aktivitäten mehrfach zum Anlass, um im westlichen Nachbarland zu intervenieren.

Im April 2014 wird in Ruanda wie vor zwanzig Jahren die Regenzeit beginnen, als dort die lange erahnbare Katastrophe ausbrach. - Warum wollen wir unseren Blick wieder nach Ruanda richten, uns diese Gräuel ins Gedächtnis rufen? - Das ist schwer zu sagen. Seitdem ich von den Ereignissen gehört habe, lassen mich die Gedanken daran nicht los, verknüpfen sich mit den unausgesprochenen Abgründen meiner Großeltern aus der Zeit des Dritten Reiches. - Wir wollen daran erinnern, wie fragil unser menschliches Miteinander ist. Nach dem Holocaust schien es 1945 einhelliger Konsens: So etwas darf nie wieder geschehen. Aber das war Wunschdenken – und Ruanda ist nur ein Beispiel. Das Agieren des „Westens“ hat in diesem Geschehen eine erhebliche Rolle gespielt. Wir richten den Blick nach Ruanda und damit an all die anderen Orte, an denen Völker bewusst ausgelöscht werden sollten, ... WEIL WIR VERSTEHEN WOLLEN. Wie dünn ist das Eis? Wie schmal der Grat humanen Zusammenlebens?

Ich sitze auf einem Hochsitz an der Quohrener Kippse, ein schöner Herbsttag, freundlich liegen die Dörfer zwischen Wäldern und Hügeln. Kleine Grüppchen spazierender Leute gehen, sich unterhaltend, der Anhöhe entgegen, auf der die Kinder ihre Drachen steigen lassen. Der Wind streift in kleinen Böen durch die Sträucher, und lässt dabei Wellen von Meeresrauschen erklingen … Die Birken deuten Tanzbewegungen an, schwingen dezent ihre Glieder und die ausgedünnten Federboas. Ein friedliches Land, mitten in Deutschland, wo vor 70 Jahren ebenfalls ein Völkermord in Gang war, der von einem Großteil der Bevölkerung mitgetragen wurde, durch aktive Beteiligung, Denunziation, unhinterfragtes Mittun oder stille Duldung. Wie dünn ist das Eis?

Ich schaue über diese friedliche Landschaft, hinüber zu den heiteren Menschen, während ich die Bücher und Notizen zu den Vorgängen in Ruanda vor zwanzig Jahren studiere. Das mag absurd scheinen. Aber vielleicht sollten wir gerade in den schönsten Momenten das Fragile unseres Menschseins vor Augen haben, um das Schöne, das Solidarische, das Miteinander zu achten, und uns die Bereitschaft wach halten, tatsächlich etwas dafür zu tun.


Objekte als Zeugen und Geschichten-Träger
In unserem Projekt Ruanda-Memory setzt sich aus neun ausgewählten Objekten ein unvollständiges Puzzle um die Ereignisse 1994 zusammen. - Was als Memory-Spiel beginnt, verspinnt sich zu einer berührenden Geschichte von Menschen und Menschlichkeit.

Ein Radio, eine Machete, ein Faxgerät, ein Mobiltelefon, ein Identity-Card, ein Stück Wellblech, ein Fußball, ein Blauhelm und eine Flasche Primus-Bier werden zu Berichterstattern, zu Handlungsträgern und Zeugen.
Dahinter erscheinen Lebensgeschichten und Berichte, eine Geschichte aus Einzelteilen, biografischen Versatzstücken und offiziellen Verlautbarungen. Objekte werden zu Handlungsträgern, hinter ihnen tauchen die Menschen auf, die diese Objekte produziert, manipuliert und eingesetzt haben. Der Diskurs wird zu einer Reise in das Ruanda von 1994, - nicht zuletzt zu der Frage, was eigentlich Menschlichkeit ist, und was sie so zerbrechlich macht.  

RUANDA-MEMORY 
Premiere: 25.April 2014 / Societaetstheater Dresden.