Liebe Freunde der unbequemen Unterhaltung!
Wir arbeiten in diesen Tagen an der Vorbereitung unserer neuen Produktion. Die Recherchen und Lektüre lassen uns immer wieder innehalten und zweifeln, ob es möglich sein wird, ein Theaterstück aus all dem zu schaffen, neben beängstigenden Wahrheiten auch ermutigende Töne anklingen zu lassen. Wir können nicht sagen, wo uns dieser Weg hinführen wird, wir gehen ihn, um zu verstehen.
Der Völkermord in Ruanda begann am
6. April 1994 und dauerte bis Mitte Juli 1994 an. Er kostete ca, 800.000 bis 1.000.000 Menschen das Leben. In 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten. Die Täter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Nationalpolizei und der Verwaltung. Zudem spielten die Milizen der Impuzamugambi sowie vor allem der Interahamwe eine besonders aktive Rolle. Weite Teile der Hutu-Zivilbevölkerung beteiligten sich am Völkermord. Der Genozid ereignete sich im Kontext eines langjährigen Konflikts zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF). Im Verlauf und im Nachgang der Ereignisse wurden die Vereinten Nationen und Staaten wie die USA,Großbritannien und Belgien wegen ihrer Untätigkeit kritisiert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, aus welchen Gründen eine frühzeitige humanitäre Intervention nicht erfolgte und warum die vor Ort stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen UNAMIR, bei Ausbruch der Gewalt nicht gestärkt, sondern verkleinert wurden. Gegen Frankreich wurde der Vorwurf erhoben, sich durch die militärische Unterstützung der ruandischen Regierung an den Verbrechen beteiligt zu haben.
Der Völkermord in Ruanda erzeugte erhebliche regionale Probleme. Nachdem die RPF die Hutu-Machthaber vertrieben,
damit den Völkermord beendet und eine neue Regierung gebildet hatte, flohen im Sommer 1994 hunderttausende Hutu in den Osten des Kongo. Unter den Flüchtlingen waren viele Täter, die anschließend zur Wiedereroberung Ruandas rüsteten. Die ruandische Armee nahm diese Aktivitäten mehrfach zum Anlass, um im westlichen Nachbarland zu intervenieren.
Im April 2014 wird in Ruanda wie vor zwanzig Jahren die Regenzeit beginnen, als dort die lange erahnbare Katastrophe ausbrach. - Warum wollen wir unseren Blick wieder nach Ruanda richten, uns diese Gräuel ins Gedächtnis rufen? - Das ist schwer zu sagen. Seitdem ich von den Ereignissen gehört habe, lassen mich die Gedanken daran nicht los, verknüpfen sich mit den unausgesprochenen Abgründen meiner Großeltern aus der Zeit des Dritten Reiches. - Wir wollen daran erinnern, wie fragil unser menschliches Miteinander ist. Nach dem Holocaust schien es 1945 einhelliger Konsens: So etwas darf nie wieder geschehen. Aber das war Wunschdenken – und Ruanda ist nur ein
Beispiel. Das Agieren des „Westens“ hat in diesem Geschehen eine erhebliche Rolle gespielt. Wir richten den Blick nach Ruanda und damit an all die anderen Orte, an denen Völker bewusst ausgelöscht werden sollten, ... WEIL WIR VERSTEHEN WOLLEN. Wie dünn ist das Eis? Wie schmal der Grat humanen Zusammenlebens?
Ich sitze auf
einem Hochsitz an der Quohrener Kippse, ein schöner Herbsttag, freundlich
liegen die Dörfer zwischen Wäldern und Hügeln. Kleine Grüppchen spazierender
Leute gehen, sich unterhaltend, der Anhöhe entgegen, auf der die Kinder ihre
Drachen steigen lassen. Der Wind streift in kleinen Böen durch die Sträucher, und
lässt dabei Wellen von Meeresrauschen erklingen … Die Birken deuten
Tanzbewegungen an, schwingen dezent ihre Glieder und die ausgedünnten
Federboas. Ein friedliches Land, mitten in Deutschland, wo vor 70 Jahren ebenfalls
ein Völkermord in Gang war, der von einem Großteil der Bevölkerung mitgetragen
wurde, durch aktive Beteiligung, Denunziation, unhinterfragtes Mittun oder
stille Duldung. Wie dünn ist das Eis?
Ich schaue über
diese friedliche Landschaft, hinüber zu den heiteren Menschen, während ich die
Bücher und Notizen zu den Vorgängen in Ruanda vor zwanzig Jahren studiere. Das
mag absurd scheinen. Aber vielleicht sollten wir gerade in den schönsten
Momenten das Fragile unseres Menschseins vor Augen haben, um das Schöne, das
Solidarische, das Miteinander zu achten, und uns die Bereitschaft wach halten,
tatsächlich etwas dafür zu tun.
Objekte als Zeugen und
Geschichten-Träger
In unserem
Projekt Ruanda-Memory setzt sich aus
neun ausgewählten Objekten ein unvollständiges Puzzle um die Ereignisse 1994
zusammen. - Was als
Memory-Spiel beginnt, verspinnt sich zu einer berührenden Geschichte von
Menschen und Menschlichkeit.
Ein Radio, eine
Machete, ein Faxgerät, ein Mobiltelefon, ein Identity-Card, ein Stück
Wellblech, ein Fußball, ein Blauhelm und eine Flasche Primus-Bier werden zu Berichterstattern, zu Handlungsträgern und
Zeugen.
Dahinter
erscheinen Lebensgeschichten und Berichte, eine Geschichte aus Einzelteilen, biografischen Versatzstücken und offiziellen Verlautbarungen. Objekte werden zu Handlungsträgern, hinter ihnen tauchen die Menschen auf, die diese Objekte produziert, manipuliert und eingesetzt haben. Der Diskurs wird zu einer Reise in das Ruanda von 1994, - nicht zuletzt zu der Frage, was
eigentlich Menschlichkeit ist, und was sie so zerbrechlich macht.
RUANDA-MEMORY
Premiere: 25.April 2014 / Societaetstheater Dresden.